Tägliche Meditationen

Tägliche Meditationen

Sonntag 8. September 2019 bis Samstag 14. September 2019

Dreiundzwanzigste Woche im Jahreskreis

Br. Benoît Terrenoir LC

Alles oder NichtsSonntag
Die große VerwirrungMontag
Der Walzer des EvangeliumsDienstag
Der vorgehaltene SpiegelMittwoch
Der echte KreuzzugDonnerstag
Operation ohne BetäubungFreitag
So sehr hat Gott die Welt geliebtSamstag


Alles oder Nichts

8. September 2019

Dreiundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis
Mariä Geburt

Br. Benoît Terrenoir LC

Lk 14,25-33
In jener Zeit begleiteten viele Menschen Jesus; da wandte er sich an sie und sagte: Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, der kann nicht mein Jünger sein. Denn wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und berechnet die Kosten, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen? Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertigstellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen. Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, solange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden. Ebenso kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.

Einführendes Gebet: Herr, ich dürste nach dir! Ich bin wie ein Reisender, der durch die Wüste reist und so an Durst gewöhnt ist, dass er ihn am Ende vergisst. Stille meinen Durst, Herr, durch dein Wort! Ich bitte dich darum auf die Fürsprache deiner seligen Mutter, deren Geburtstag wir heute feiern.

Bitte: Herr, hilf mir, alles auf dich setzen.

1. Keine halben Sachen. Im heutigen Evangelium spricht Christus zuerst über die Notwendigkeit, alles aufzugeben, wenn man sein Jünger sein will. Aber wie steht das in Beziehung zum doppelten Gleichnis, von dem er dann erzählt? Dieses Gleichnis handelt von zwei Männern: der eine plant, einen Turm zu bauen, und der andere will eine Militärexpedition durchführen. Aber sie sind scheinbar so schlimm dran, dass es besser wäre, wenn sie ihre Projekte abbrechen würden, bevor es zu spät ist. Tatsächlich handelt dieses Gleichnis von zwei Menschen, die nicht alles auf eine Karte setzen: der Architekt und der Kriegsherr geben nicht alles für ihr Ideal auf. Die Botschaft Christi ist also die gleiche wie am Anfang: Es gibt keine halben Sachen in der Hingabe für das Reich Christi! Will ich sein Jünger werden, dann muss ich mich ihm ganz hingeben.

2. Innehalten heißt verlieren. Hundertprozentig für Gott zu leben, das kann einem unmöglich vorkommen. Dem Herrn ohne Kompromisse, ohne Hintertürchen, ohne Plan B zu folgen, das kann beängstigend sein. Aber das ist der Weg, der zum ewigen Leben führt. Das Gesetz des Evangeliums heißt „Alles oder Nichts“. Der einzige Weg zum Himmel ist die aufrechte und gerade Linie. Umwege verlieren sich im Nirgendwo. Die verschlungenen Pfade der Aufenthalte und Ablenkungen sind zwar attraktiv und leichter zu begehen, aber so werde ich nicht weiterkommen. Das Leben des christlichen Jüngers ist radikal. Innehalten heißt verlieren.

3. Das geschmacklose Salz. In den Versen, die diesem Abschnitt des Evangeliums folgen, spricht Christus vom Salz, das seinen Geschmack verloren hat. Da es nicht mehr zum Würzen oder Haltbarmachen dient, wird es einfach weggeworfen. Tatsächlich ist es jedoch unmöglich, dass reines Salz seinen Geschmack verliert. Nur wenn es gemischt oder verdünnt wird, wird es geschmacklos. Ebenso ist es für das Herz des Menschen unmöglich, auf natürliche Weise nach etwas anderem zu verlangen als nach der Vereinigung mit Gott. Nur wenn ich diese natürliche Orientierung verliere, suche ich nach anderen Glücksquellen, die sich nacheinander als illusorisch erweisen. Nur so fange ich an, Türme zu bauen oder Expeditionen zu führen, die nur zu Hälfte vorbereitet und so zum Scheitern verurteilt sind. Aber ich bin nicht dazu geschaffen, um zu scheitern. Ich bin dazu geschaffen, um die Fülle zu erreichen, um mich mit Gott auf ewig zu vereinigen. Und das tue ich, indem ich mich ihm ganz hingebe.

Gespräch mit Christus: Herr, hilf mir, dir alles zu geben! Seit dem Tag meiner Taufe gehöre ich dir. Hilf mir, diese Weihe jeden Tag zu bestätigen, und nimm mich an meinem letzten Tag als dein Eigentum auf! Ich bitte dich darum durch deine gütige Mutter, die sich ganz dir hingegeben hat.

Vorsatz: Heute werde ich ein Hindernis identifizieren, das mich davon abhält, alles auf Christus zu setzen, und mit Gottes Hilfe werde ich mich um eine vollkommenere Hingabe bemühen.


Die große Verwirrung

9. September 2019

Montag der dreiundzwanzigsten Woche im Jahreskreis

Br. Benoît Terrenoir LC

Lk 6,6-11
An einem anderen Sabbat ging Jesus in die Synagoge und lehrte. Dort saß ein Mann, dessen rechte Hand verdorrt war. Die Schriftgelehrten und die Pharisäer gaben acht, ob er am Sabbat heilen werde; sie suchten nämlich einen Grund zur Anklage gegen ihn. Er aber wusste, was sie im Sinn hatten, und sagte zu dem Mann mit der verdorrten Hand: Steh auf und stell dich in die Mitte! Der Mann stand auf und trat vor. Dann sagte Jesus zu ihnen: Ich frage euch: Was ist am Sabbat erlaubt: Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zugrunde gehen zu lassen? Und er sah sie alle der Reihe nach an und sagte dann zu dem Mann: Streck deine Hand aus! Er tat es, und seine Hand war wieder gesund. Da wurden sie von sinnloser Wut erfüllt und berieten, was sie gegen Jesus unternehmen könnten.

Einführendes Gebet: Herr, in der Mitte des irdischen Paradieses hattest du den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen gepflanzt. Und im intimsten Teil meiner Seele hast du mir ein Gewissen gegeben, damit ich zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Hilf mir, die Stimme meines Gewissens niemals zu ersticken! Gib mir die Reinheit, die ich brauche, um beständig nach dem Guten zu streben!

Bitte: Herr, lass nicht zu, dass ich Gut und Böse vertausche!

1. Das Meisterwerk der Pharisäer. Zur Zeit Jesu hatten die Pharisäer ein beeindruckendes Meisterwerk vollbracht. Einige Jahrhunderte nach der endgültigen Abfassung des Gesetzes des Mose war es ihnen gelungen, ein langfristiges Projekt zu beenden. Und zwar hatten sie die Vorschriften der Thora durch eine Vielzahl kleiner Regeln vervollständigt, die das Verhalten zu jedem Moment des Tages vorschreiben sollten. Zum Beispiel hatten sie genau festgehalten, was am Sabbat vermieden werden sollte. Ein Arzt konnte seinen Beruf am Sabbat nicht ausüben. All diese kleinen Regeln hatten sie jedoch dazu gebracht, das Wichtigste aus den Augen zu verlieren: das Leben, der Bund und das Gesetz sind nur dazu da, dass der Mensch zu Gott findet. Und als der Mann mit der verdorrten Hand in die Synagoge eintrat, wussten die Pharisäer, dass es wichtiger war, die Regel einzuhalten, als dass er heute zu Gott findet und geheilt wird. Sie hatten Gut und Böse vertauscht. Ihr Meisterwerk war zur Gotteslästerung geworden.

2. Wie der Frosch in kochendem Wasser. Das Schlimmste ist, dass die Pharisäer davon überzeugt waren, das Richtige zu tun. Eigentlich ist ihr Verrat am Gesetz des Mose nicht über Nacht geschehen. Es ist das Ergebnis einer langen Geschichte, in der sie das Gesetz der Liebe Gottes durch ihre eigenen Regeln ersetzt haben. Es ist wie die Geschichte vom Frosch, der in einen Topf mit kaltem Wasser gesetzt wird. Das Feuer wird unter dem Topf angezündet, und nach und nach erwärmt sich das Wasser, ohne dass der Frosch es merkt. Am Ende wird der Frosch totgekocht, ohne dass er davonspringt. Und ich? Habe ich das Gesetz Gottes geändert, ohne es zu merken? Habe ich meine eigenen Regeln aufgestellt und das Gesetz des Evangeliums, das Gesetz der Liebe geringer eingestuft?

3. Die Demut, seine Fehler anzuerkennen. Höchstwahrscheinlich dachten die Pharisäer, dass sie das Richtige getan hatten. Aber selbst wenn sie realisierten, dass für Gott die Gesundheit eines Menschen wichtiger ist als die Einhaltung ihrer Sabbatregeln, wie schwierig war es für sie, ihren Fehler zuzugeben! Unmittelbar nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl realisierten die örtlichen sowjetischen Behörden die Schwere des Geschehens. Sie spielten jedoch die Bedeutung der Katastrophe herunter, gaben bekannt, dass es nur ein Feuer war, und evakuierten die Bewohner des am stärksten kontaminierten Gebiets erst am nächsten Tag. Und wie steht es mit uns? Geben wir unsere Fehler zu? Ändern wir unsere Sichtweise? Oder sind wir bereit, die Tatsachen anzuerkennen?

Gespräch mit Christus: Herr, indem du den Mann mit der verdorrten Hand heilst, zeigst du mir, dass meine kleinen Regeln nutzlos sind, wenn sie nicht auf das wahre Wohlergehen meiner Brüder abzielen. Offenbare mir, ich bitte dich, dein Liebesgesetz in all seiner Schönheit und Dringlichkeit! Heilige Jungfrau Maria, gib mir die Demut, meine Fehler zu erkennen, und die Gnade, mich zu bessern!

Vorsatz: Heute werde ich ein Kapitel des Evangeliums lesen, um mir des Liebesgesetzes Christi bewusster zu werden.


Der Walzer des Evangeliums

10. September 2019

Dienstag der dreiundzwanzigsten Woche im Jahreskreis

Br. Benoît Terrenoir LC

Lk 6,12-19
In jenen Tagen ging er auf einen Berg, um zu beten. Und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott. Als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu sich und wählte aus ihnen zwölf aus; sie nannte er auch Apostel. Es waren Simon, dem er den Namen Petrus gab, und sein Bruder Andreas, dazu Jakobus und Johannes, Philippus und Bartholomäus, Matthäus und Thomas, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon, genannt der Zelot, Judas, der Sohn des Jakobus, und Judas Iskariot, der zum Verräter wurde. Jesus stieg mit ihnen den Berg hinab. In der Ebene blieb er mit einer großen Schar seiner Jünger stehen, und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon strömten herbei. Sie alle wollten ihn hören und von ihren Krankheiten geheilt werden. Auch die von unreinen Geistern Geplagten wurden geheilt. Alle Leute versuchten, ihn zu berühren; denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte.

Einführendes Gebet: Herr Jesus Christus, in den Tagen deines öffentlichen Lebens hast du dich oft in die Einsamkeit zurückgezogen, um zu beten. Lehre mich den Wert des Gebets! Gib mir das Verlangen zu beten! Heilige Jungfrau Maria, ich bitte dich, führe mich auf den Wegen des Gebets!

Bitte: Herr, lehre mich den Rhythmus des christlichen Lebens!

1. Erster Schritt: das Gebet. Diese Textstelle enthält eine Zusammenfassung des ganzen Evangeliums. Es sind hier drei Hauptmerkmale zu erkennen, die zentral zum Leben Christi und dem seiner Jünger gehören. Diese drei Merkmale folgen einander und wiederholen sich wie der Dreischritt eines Walzers: Gebet, Jüngerschaft und Aufbruch. Wenn ich einen der drei weglasse, hinkt mein christliches Leben. Untersuchen wir sie nacheinander:Der erste Schritt ist das Gebet. Oft zeigt uns das Evangelium, dass Jesus vor wichtigen Ereignissen frühmorgens aufsteht, um zu beten. Bevor er seine zwölf Apostel auswählt, verbringt er sogar die ganze Nacht im Gebet. Das zeigt mir, wie wichtig das Gebet ist. Wie lange widme ich mich täglich dem Gebet? Nehme ich mir Zeit für Gott, um mich auf die wichtigen Momente meines Lebens vorzubereiten? Ohne regelmäßiges Gebet wird das christliche Leben schnell seiner Tiefe beraubt.

2. Zweiter Schritt: die Jüngerschaft. Der zweite Schritt ist die Jüngerschaft. Nachdem er gebetet hat, steigt Jesus vom Berg herab und wählt die zwölf Apostel aus. Dies ist eine ungemein wichtige Entscheidung, denn diese zwölf Männer werden sozusagen das Heil der ganzen Welt in ihren Händen haben. Nach dem Tod und der Auferstehung Christi wird die Verkündigung des Evangeliums maßgeblich von ihnen übernommen. Im Moment sind sie nur fromme Juden, die diesen neuen Rabbi, Jesus von Nazareth, bewundern, ohne noch zu wissen, wer er genau ist. Aber der Herr hat sie auserwählt, und er wird drei Jahre mit ihnen verbringen, um sie durch seine Worte und Taten zu lehren, dass er der Sohn Gottes ist, der in die Welt kam, um den Menschen die Liebe Gottes zu verkünden. Drei Jahre lang werden sie mit Jesus essen, mit ihm unterwegs sein, mit ihm beten, mit ihm die Menschen belehren, mit ihm Wunder vollbringen ... Dieses Leben mit Christus ist Jüngerschaft. Noch zweitausend Jahre danach ist sie aktuell. Auch ich kann in Gesellschaft des lebendigen Gottes, des auferstandenen Jesus, leben, denn er lädt mich ein, in seine Fußstapfen zu treten.

3. Dritter Schritt: der Aufbruch. Der dritte Schritt ist das Hinausgehen, was Papst Franziskus die „Kirche im Aufbruch“ nennt. Nachdem Jesus die Zwölf ausgewählt hat, steigt er herab, um der Menge zu begegnen und sie zu unterrichten. Er tut sogar viele Wunder, spendet Heilungen und Exorzismen, weil eine Kraft von ihm ausgeht, die alle heilt. Angesichts des Leidens und der Unwissenheit der Menschen kann Jesus nicht unberührt bleiben. Er sehnt sich danach, ihnen die Liebe des Vaters weiterzugeben. Die gleiche Einstellung gilt für seine Anhänger. Was wir „apostolischen Eifer“” oder „pastorale Liebe“ nennen, bedeutet, hinauszugehen, „um allen an allen Orten und bei allen Gelegenheiten ohne Zögern, ohne Widerstreben und ohne Angst das Evangelium zu verkünden. Die Freude aus dem Evangelium ist für das ganze Volk, sie darf niemanden ausschließen”. (Evangelii Gaudium, n. 23).

Gespräch mit Christus: Herr Jesus Christus, du bist nicht nur ein Vorbild, das vor meinen Augen steht, sondern du lebst in mir. Ich bitte dich, gib mir die Kraft, dein Gebetsleben, dein Gemeinschaftsleben und dein Leben im Aufbruch nachzuahmen! Liebe Mutter Gottes, du bist als Erste in die Fußstapfen deines Sohnes getreten, lehre mich, ihm nachzufolgen!

Vorsatz: Heute werde ich sehen, an welchem Teilschritt dieses Walzers ich arbeiten sollte: Gebet, Jüngerschaft oder Aufbruch.


Der vorgehaltene Spiegel

11. September 2019

Mittwoch der dreiundzwanzigsten Woche im Jahreskreis

Br. Benoît Terrenoir LC

Lk 6,20-26
In jener Zeit richtete Jesus seine Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, wenn sie euch beschimpfen und euch in Verruf bringen um des Menschensohnes willen. Freut euch und jauchzt an jenem Tag; euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht. Aber weh euch, die ihr reich seid; denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten. Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh euch, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen. Weh euch, wenn euch alle Menschen loben; denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht.

Einführendes Gebet: Herr Jesus Christus, ich bin so arm, ich weiß nicht, wie ich beten soll... Ich weiß nicht einmal, was ich dir sagen soll! Hilf mir, einfach auf die Worte des Evangeliums zu hören! Lass sie in meinem Herzen so klingen, dass ich sie niemals vergesse! Heilige Jungfrau Maria, nimm dieses Gebet in deine Hände!

Bitte: Herr, gib mir die wahre Seligkeit!

1. Eine Frage des Schwerpunkts. Das heutige Evangelium bietet uns den Text der Seligpreisungen. Es ist ein Text, an den wir uns so gewöhnt haben, dass wir uns bemühen müssen, die darin enthaltene Sprengkraft zu erkennen. Dazu muss man sich in die Lage der Hörer Christi versetzen, für die die Logik der Vergeltung unbestritten war. Dieser Logik nach war Erfolg ein Zeichen des Segens Gottes, während Unglück das Zeichen von Fluch war. Demnach genügte es, in den Spiegel des Lebens zu schauen, um zu wissen, ob wir Freunde oder Feinde Gottes sind. Aber mit dem, was Christus in den Seligpreisungen verkündet, verhält es sich völlig anders. Alles ist spiegelverkehrt: Unglück in diesem Leben ist eine Verheißung der Güte Gottes, während das Glück zum Omen drohender Verdammnis wird. Was ist denn passiert? Es ist einfach eine Frage des Schwerpunkts. Wenn ich mit meinen Erfolgen zufrieden bin, dann lege ich den Schwerpunkt auf mich. Wenn ich mich aber dem Unglück nicht verweigere, in dem Bewusstsein, dass es mich näher zu Gott bringt, dann bedeutet es, dass ich den Schwerpunkt nach oben verschoben haben. Der Schwerpunkt meines Lebens befindet sich nicht mehr in mir, sondern in Gott. Darauf kommt es an.

2. Die glückselige Leere. Die Seligpreisungen erinnern uns an eine Regel des geistlichen Lebens: Wir müssen sterben, um Früchte zu bringen. Mit anderen Worten, wir müssen uns vollständig unserer selbst entledigen, damit Gott in uns leben kann, damit er uns mit seiner Gnade erfüllt. So wie Christus sich seiner Herrlichkeit entblößte, um ein Mensch zu werden, müssen wir uns unser selbst entledigen, um an der Gottheit teilzunehmen. Aber wie funktioniert das? Nun, Jesus gibt uns in den Seligpreisungen Hinweise. Es handelt sich einfach darum, die Gelegenheiten zu nutzen, die mich daran erinnern, dass nicht ich es bin, der den Ton angibt. Diese Gelegenheiten sind Armut, Hunger, Trauer und Verfolgung. Sie lassen mich erkennen, dass ich allein nichts tun kann und dass die einzige Lösung darin besteht, mich in die Arme Gottes zu werfen. Das Unglück ist also eine Schule des Vertrauens zum allmächtigen und barmherzigen Gott, dem einzigen, der mir die wahre Seligkeit bieten kann.

3. Fülle, die unglücklich macht. Während die Entbehrung der Weg zum Glück ist, kann die Fülle zu meinem Unglück werden. Wenn ich mit meinen Erfolgen zufrieden bin und glaube, dass mir nichts fehlt, wie kann dann Gott in mich eintreten? Für ihn gibt es keinen Platz mehr. Wenn ich reich, satt, fröhlich und ruhig bin, wird mich nichts dazu bringen, Gott zu suchen. Ich werde innerhalb der Grenzen meiner Komfortzone bleiben, ohne herauszufinden, was es außerhalb dieses eher kleinlichen Lebens gibt. Wie im Buch der Geheimen Offenbarung steht: „Du behauptest: Ich bin reich und wohlhabend und nichts fehlt mir. Du weißt aber nicht, dass gerade du elend und erbärmlich bist, arm, blind und nackt“ (Offb 3, 17). Damit der Groschen fällt, damit ich merke, dass ich elend bin, muss ich Demütigung erfahren. Ohne den Impuls der Seligpreisungen laufe ich Gefahr, ein Leben ohne Probleme, aber auch ohne wirkliches Glück führen zu wollen. Ein Leben, das nicht wirklich Leben ist.

Gespräch mit Christus: Herr Jesus Christus, sende mir deinen Geist, damit ich erkennen kann, was wahrhaft selig macht.Was befleckt ist, wasche rein,Dürrem gieße Leben ein.Heile du, wo Krankheit quält,wärme du, was kalt und hart,löse, was in sich erstarrt,lenke, was den Weg verfehlt. (GL 345)

Vorsatz: Heute werde ich den Herrn um die Kraft bitten, den Weg der Seligpreisungen zu gehen.


Der echte Kreuzzug

12. September 2019

Donnerstag der dreiundzwanzigsten Woche im Jahreskreis
Mariä Namen

Br. Benoît Terrenoir LC

Lk 6,27-38
In jener Zeit richtete Jesus seine Augen auf seine Jünger und sagte: Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln. Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin, und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd. Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand etwas wegnimmt, verlang es nicht zurück. Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. Und wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. Und wenn ihr nur denen etwas leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern in der Hoffnung, alles zurückzubekommen. Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wenn ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie es euch euer Vater ist! Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden. Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden.

Einführendes Gebet: Herr Jesus Christus, heute möchte ich dir demütig sagen, dass ich dich liebe. „Ich liebe dich“: Diese so bedeutungsvollen Worte möchte ich dir mit aller Kraft meiner Seele aussprechen. Aber wie kann ich dir meine Liebe erweisen? Hilf mir, auf deine Worte achtzugeben, um zu wissen, was du von mir erwartest. Heilige Jungfrau Maria, lehre mich deinen Sohn lieben!

Bitte: Herr, lass mich das Böse durch das Gute besiegen!

1. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Heute lehrt uns das Evangelium, wie wir mit Feinden umgehen sollen. Für die Zuhörer Christi galten sehr einfache Regeln, es genügte, das Gesetz des Mose zu respektieren: „Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde“ (Ex 21,23-25). Mit anderen Worten, wenn jemand mir Schaden zufügt, darf ich mich rächen, indem ich ihm denselben Schaden zufüge. Dies ist bereits ein Fortschritt verglichen mit der unkontrollierten Eskalation der Gewalt unter anderen Völkern. Aber es ist immer noch etwas völlig anderes als das, was Christus hier sagt: „Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen.“ Wir können uns vorstellen, wie verwundert die Menge ist! Wie kann sich dieser Rabbi erdreisten, die von Mose verhängte Gerechtigkeit durch ein Gesetz der Liebe zu ersetzen? Es scheint so unrealistisch! Und doch wird Jesus selbst mit seinen Feinden auf diese Weise umgehen, indem er sich von ihnen ans Kreuz heften lässt.

2. Das Böse durch das Gute überwinden. Das Talionsprinzip sollte die Ausbreitung des Bösen begrenzen. Das Gesetz Christi hingegen zielt darauf ab, das Feuer des Bösen vollständig zu löschen. Ein Feuer wird nicht gelöscht, indem man Sauerstoff hineingießt, sondern es wird mit Wasser oder Sand erstickt. Ebenso gilt, wenn mich jemand beleidigt oder schlägt, dass ich das Problem nicht lösen werde, indem ich ihn wieder beleidige oder härter zurückschlage. Die einzige Möglichkeit, das Böse zu besiegen, besteht darin, die andere Wange hinzuhalten. Der heilige Johannes Paul II. besiegte den Kommunismus in Polen nicht, indem er Widerstandsgruppen bewaffnete, sondern indem er die Botschaft des Evangeliums verkündete und die Religionsfreiheit verteidigte. Der echte Kreuzzug wird nicht entschieden durch Waffen, sondern durch die Befolgung dessen, was der heilige Paulus im Römerbrief empfiehlt: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.” (Röm 12,21)

3. Aber… wer ist mein Feind? In diesem Abschnitt des Evangeliums spricht der Herr von der Liebe zu den Feinden. Aber ... wer ist mein Feind? Sollte ich nicht als Christ meine Feinde zu Freunden machen und so keine Feinde mehr haben? Tatsächlich sind meine Feinde nicht unbedingt die Menschen, die ich nicht gernhabe, sondern diejenigen, die mich nicht mögen oder die mir gleichgültig gegenüberstehen. Zum Beispiel der Kollege, der mich in der Öffentlichkeit kritisiert, das Familienmitglied, das nie mit mir spricht, der Nachbar, der seine Zeit damit verbringt, mich auszuspionieren ... Es gibt jeden Tag dutzende Möglichkeiten damit ich mich einem Feind stellen und die Logik des Evangeliums einüben kann. Es hängt nur von mir ab, sie wahrzunehmen.

Gespräch mit Christus: Herr, ich möchte dich mehr lieben! Danke, dass du mir die Gelegenheit gibst, dich zu lieben, indem ich meine Brüder liebe! Danke, dass du dich als Feind verkleidet hast, damit ich dich mehr lieben kann! Heilige Jungfrau Maria, ich bitte dich, lass meine Liebe zu deinem Sohn wachsen!

Vorsatz: Heute werde ich die Nächstenliebe gegenüber jedem üben, der mich nicht mag.


Operation ohne Betäubung

13. September 2019

Hl. Johannes Chrysostomus, Kirchenlehrer
Gedenktag

Br. Benoît Terrenoir LC

Lk 6,39-42
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Kann ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? Der Jünger steht nicht über seinem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.

Einführendes Gebet: Herr Jesus Christus, ich widme dir diesen Moment zu Beginn des Tages. Bitte wache heute über meine Gedanken, Worte und Werke. Lass mich dich in solcher Tiefe kennen, dass ich nicht umhin kann, dich zu lieben! Und lass mich dich so sehr lieben, dass ich nicht umhin kann, dir zu folgen! Liebe Gottesmutter, wache über mich!

Bitte: Hilf mir zu erfahren, wie sehr du mich liebst!

1. Der Splitter und der Balken. Nachdem der Herr über die Seligpreisungen und die Liebe zu den Feinden gesprochen hat, fügt er ein letztes Thema hinzu. Diese kleine Ergänzung mag wie ein Detail erscheinen, aber tatsächlich handelt es sich um den Grundstein, der das gesamte christliche Leben vor dem Zusammenbruch bewahrt. Es handelt sich um nichts anderes als die Aufrichtigkeit, und sein Gegenteil, die Heuchelei. Hier findet das Gleichnis vom Splitter und vom Balken seine Anwendung. Ich werde nicht versuchen, den Strohhalm aus dem Auge meines Nachbarn herauszuziehen, wenn ich selbst einen Balken im Auge habe. Ein aufrichtiger Mensch wird seinen Nächsten nicht beschuldigen, wenn er weiß, dass er denselben oder einen schwerwiegenderen Fehler begeht. Wenn ich mir meines Elends aufrichtig bewusst bin, kann ich über meinen Nächsten nicht richten. Oder zumindest muss ich zuerst den Splitter aus meinem Auge herausziehen, ich muss zuerst von meiner Sünde ablassen.

2. Der ehrbare Egoismus. Damit ich meinem Bruder helfen kann, den Splitter aus seinem Auge herauszuziehen, muss ich zuerst den Balken loswerden, der sich in meinem Auge befindet. Mit anderen Worten, damit ich meinem Bruder helfen kann, zu heilen und im geistlichen Leben zu wachsen, muss ich mich zuerst um mein eigenes geistliches Leben kümmern. Ein Blinder kann keinen Blinden führen. Ich kann niemanden zu Gott bringen, wenn ich mich selbst nicht vorher auf den Weg zu ihm gemacht habe. Ich muss damit beginnen, selbst die Heiligkeit zu suchen. Die Flugsicherheitsrichtlinien empfehlen, zuerst die eigene Sauerstoffmaske anzulegen, ehe man anderen hilft, ihre Masken aufzusetzen. Ebenso muss ich selbst den Herrn erst einmal lange suchen, damit ich anderen helfen kann, zu Gott zu finden. Das ist der ehrbare Egoismus, den die Bibel empfiehlt, wenn es heißt, „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Lev 19,18). Um meinen Nächsten zu lieben, muss ich zuerst mich selbst lieben, mein eigenes Wohl wollen.

3. Ich bin mein eigener Chirurg. Wie entferne ich den Balken von meinem Auge? Wie entferne ich die Sünde, die meine Seele zerfrisst? Es ist wie eine chirurgische Operation, die niemand anderes als ich vornehmen kann. 1961 gelang Leonid Rogosow, damals der einzige Arzt in der sowjetischen Polarforschungsstation Nowolasarewskaja in der Antarktis eine Blinddarmoperation an sich selbst. Der Kampf gegen die Sünde ist eine Operation, bei der ich bei Bewusstsein bleiben muss, eine Operation ohne Betäubung. Ich kann Helfer haben, Leute, die mich beraten und unterstützen, aber niemand kann mich in diesem Kampf gegen die Sünde in meiner Protagonistenrolle ersetzen. Das Leben, das in meinen Händen liegt, ist nicht das Leben anderer, es ist meines.

Gespräch mit Christus: Herr Jesus, hilf mir, den Balken, der in meinem Auge ist, zu entfernen! Ich bin nur ein Anfänger-Chirurg, meine Hände zittern, ich weiß nicht, wie ich meine Sünde überwinden soll, geschweige denn die Sünde im Leben anderer. Ich bitte dich, führe meine Hände! Lehre mich, das Böse in meinem Leben nach und nach zu beseitigen! O Maria, ohne Sünde empfangen, bitte für mich, der ich meine Zuflucht zu dir nehme!

Vorsatz: Heute werde ich Mittel auflisten, die mir helfen können, die Sünde aus meinem Leben zu entwurzeln.


So sehr hat Gott die Welt geliebt

14. September 2019

Samstag der dreiundzwanzigsten Woche im Jahreskreis
Kreuzerhöhung

Br. Benoît Terrenoir LC

Joh 3,13-17
In jener Zeit sprach Jesus zu Nikodémus: Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist, der Menschensohn. Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat. Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.

Einführendes Gebet: Herr Jesus Christus, wie Nikodemus komme ich heimlich zu dir, um dir zu erzählen, was mir am wichtigsten ist. Ich weiß, dass du Antworten auf alles hast, aber hilf mir, dir die richtigen Fragen zu stellen. Hilf mir besonders, deine Liebe zu mir zu erfahren! Heilige Jungfrau Maria, lass mich jedes Mal die Liebe deines Sohnes mehr und mehr erfahren!

Bitte: Herr Jesus Christus, lass mich deine Liebe jeden Tag mehr erfahren!

1. Nicht nur Dekoration. Heute feiern wir das Fest der Kreuzerhöhung. Seit meiner Kindheit bin ich daran gewöhnt, das Kreuz überall zu sehen. Es hängt an der Wand meines Zimmers, ich sehe es entlang der Straßen, ich kann es an meiner Halskette tragen, viele Vereine benutzen es als Symbol ... Es ist in meinem täglichen Leben so anwesend, dass ich dafür abstumpfen kann. Es kann mir genauso passieren wie Nikodemus: Nikodemus hatte mit Sicherheit die Geschichte der ehernen Schlange hundertmal gelesen und gehört. Diese Schlange war von Mose auf Gottes Befehl geschmiedet worden, um der Invasion giftiger Schlangen ein Ende zu bereiten. Diese drohten, die Hebräer auszurotten, bevor sie ins Gelobte Land kommen konnten. Diese eherne Schlange ist das Zeichen der unglaublichen Liebe Gottes, der sein Volk trotz dessen Untreue rettet. Für Nikodemus aber war dieser Bericht eine unerklärliche Anekdote geworden. Und wie steht es mit mir? Ist das Kreuz für mich ein bloßes Dekorationselement geworden? Begegne ich dem Kreuz mit Routine?

2. Ein besonderer Schnappschuss. Unter den Bildern, die wir zu Hause aufbewahren und oft anschauen, sind einige, die uns an die wichtigsten Momente unseres Lebens erinnern: als ich geboren wurde, als ich einen Wettbewerb gewann, als ich meinen Abschluss machte, als ich meine Frau bzw. meinen Mann kennenlernte, als ich heiratete, als unser erstes Kind geboren wurde... Jedes dieser Fotos kann eine Menge guter Erinnerungen in mir aufkommen lassen. Und genauso ist das Kreuz. Es ist nämlich eine Momentaufnahme des wichtigsten Augenblicks meines ganzen Lebens. Obwohl Christus vor fast 2000 Jahren gestorben ist, ist er für mich gestorben. Er hat an mich gedacht, als er seinen Geist in die Händen des Vaters befahl. Um mich vor dem ewigen Tod zu retten, ließ er sich kreuzigen. Hätte er sein Leben für mich nicht hingegeben, dann wäre mein Leben ohne Hoffnung. Deshalb kann ich jedes Mal, wenn mein Blick auf das Kreuz fällt, an die unermessliche Liebe Gottes denken, der seinen Sohn in die Welt gesandt hat, damit die Welt durch ihn gerettet wird.

3. Schuldschein oder Blankoscheck? Ein weiteres Hindernis, das mich davon abhalten kann, die Liebe Gottes durch einen Blick auf das Kreuz zu entdecken, ist die Angst. Angesichts all dessen, was Christus für mich gelitten hat, kann ich Angst davor haben, dass er dafür von mir einiges zurückverlangen könnte. Als ob Gott ein pingeliger Kaufmann wäre, dessen Tod am Kreuz eine Rechnung wäre, die ich zu begleichen hätte. Diese Sichtweise ist zutiefst falsch. Das Kreuz ist kein Schuldschein. Es ist kein Vorwurf. Christus starb aus freien Stücken für mich, ohne mich um etwas zu bitten, ohne etwas von mir zu fordern. Das Kreuz ist ein reiner Akt der Liebe. Aber wieso verbindet mich in diesem Fall das Kreuz mit Christus? Was hat es mit mir zu tun? Die Antwort werde ich nur in seiner stillen Betrachtung finden. Und diese Betrachtung wird mir vor allem eine Frucht bringen: die Erfahrung, dass Gott mich liebt. Es ist wichtig, mir für diese Erfahrung viel Zeit zu lassen, damit sie in mir wachsen und sich festigen kann. Und nur dann werde ich die Einladung verstehen, die mir Christus durch das Kreuz ausspricht: „Mich dürstet! Ich dürste nach deiner Liebe“! Und nur dann werde ich dazu bereit sein, der unendlichen Liebe Christi mit Liebe zu entsprechen, ohne Angst, ohne mich ihr zwangsverpflichtet zu fühlen.

Gespräch mit Christus: Herr, an diesem Fest der Kreuzerhöhung bitte ich dich demütig, dich so tief betrachten zu dürfen, dass ich nicht umhin kann, dich zu lieben! Und hilf mir, dich so sehr zu lieben, dass ich nicht umhin kann, dir zu folgen! Maria, du hast deinen Sohn am Kreuz sterben sehen, gib mir deine Augen, gib mir deinen Blick, damit ich mich von deinem Sohn unendlich geliebt fühle!

Vorsatz: Heute werde ich mir reichlich Zeit nehmen, um das Kreuz zu betrachten.